" Jetzt bin ich, so Gott will, in's Standquartier eingerückt, und wahrlich das Plätzchen ist nicht übel, – namentlich das, was ich in diesem Augenblick einnehme – wollen Sie es kennen? –
es ist das Fenster eines alterthümlichen Gebäudes, am Berge, aber nicht gar hoch, die Kirchthurmspitze des Dorfes drunten könnte uns den Wein aus dem Keller stehlen, wäre sie nicht so christlich erzogen, wer weiß, was geschäh – also – das Dorf grade unter dem Fenster, – fast unmittelbar daran stoßend ein Zweytes, dann ein Drittes, Viertes – bis zu einem Siebenten, – Alle so nah, daß ich die Häuser zähle, (versteht sich, mit der Lorgnette) und unsre gute alte Burg drinn, wie das kleine Wien in seinen großen Vorstädten, sans comparaison – mitten durch's Thal eine Chausseé, auf der es ärger rappelt und klappert als auf der besten in ganz Westphalen, denn Sie müssen wissen, daß hier halb satt Essen und Ellbogen dör de Maue bey Weitem nicht so untrügliche Zeichen der Armuth sind als Wasser Trinken und zu Fuß gehn, – besser ohne Brod als ohne Most, und das muß ein vom Schicksal Verlassener seyn, für den weder der Himmel ein Rozinante, noch der Wagner ein Karriölchen geschaffen hat, – wer dies nicht kennt, und obendrein kurzsichtig ist wie ich, meint, das ganze Volk bestehe aus reichen Leuten – doch um nicht den Faden zu verlieren – ferner über die Chaussée hinaus, die lieblichsten mit Laubholz bewachsenen Gebirge, und – wie's im Liede heist „Auf jedem Gipfel ein Schlößchen, ein Dörfchen aus jeder Schlucht" von diesem Fenster sehe ich Ihrer dreißig – gezählt habe ich sie nicht, und auch jetzt nicht Lust dazu, aber glaubwürdige Leute sagen es – das ist lieblich, das ist schön anzusehn! vor Allem beym Sonnenschein, ja selbst Sturm und Nebel können so viel Leben und Fröhlichkeit nicht zu Grunde richten, – drum bin ich, bey heitrer geselliger Stimmung nirgends lieber als in diesem Zimmer, welches schon an sich selbst so hell und heiter ist, und angefüllt mit den zierlichsten Dingen, Muscheln, Schnitzeleyen in Holz, Elfenbein, geschnittne Steine, Münzen et cet, – wenn ich nun sehe, wie die Meinigen so Alles um mich versammelt haben, was mich freut und unterhält, da zweifele ich kaum, daß man auch alle diese Dörfer und blanken Schlößchen mir zu Liebe hingebaut hat, und nur zu meiner Unterhaltung sich dieses Menschen-Spiel auf der Chausseé treibt, grade nah genug, um nicht störend zu werden..."(Annette von Droste-Hülshoff, 1835)
"Außer den Thurnschen Damen betritt kein Frauenzimmer dies Haus, nur Männer von einem Schlage, Alterthümler, die in meines Schwagers muffigen Manuskripten wühlen möchten, sehr gelehrte, sehr geachtete, ja sehr berühmte Leute in ihrem Fach – aber langweilig wie der bittre Tod, – schimmlich, rostig, prosaisch wie eine Pferde-Bürste, – verhärtete Verächter aller neueren Kunst und Litteratur, – mir ist zuweilen als wandle ich zwischen trocknen Bohnen-Hülsen und höre Nichts als das dürre Rappeln und Knistern um mich her, und solche Patrone können nicht enden, vier Stunden muß man mit ihnen zu Tisch sitzen, und unaufhörlich wird das leere Stroh gedroschen! – nein, Schlüter, ich bin gewiß nicht unbillig, und verachte keine Wissenschaft, weil sie mir fremd ist, aber dieses Feld ist zu beschränkt und abgegrast, das Distel-Fressen kann nicht ausbleiben, was, zum Henker, ist daran gelegen, ob vor drey hundert Jahren, der unbedeutende Prior eines Klosters was nie in der Geschichte vorkommt, Ottwin oder Godwin geheißen, und doch sehe ich, daß dergleichen Dinge viel graue Haare und bittre Herzen machen."
(Annette von Droste-Hülshoff, 1835)
"Sie mögen gewählt haben wen Sie wollen, wir sind jetzt jedenfalls oben, – ja mein theurer theurer Freund! Wir sind oben, dieses ist der Platz, wo ich immer bey Ihnen bin, und Sie bey mir – ich glaube mit Wahrheit sagen zu können, ich war nie oben ohne Sie – es ist ein einsamer Fleck Erde, – sehr reizend und sehr großartig ... – das Thal selbst ist schmal und leer, die Gebirge gegenüber sehr nah, und mit Nadelholz bedeckt, was sie schwarz und starr aussehn läßt, so nun Berg über Berg, ein Collossales Amphitheater, und zuletzt die Häupter der Alpen mit ihrem ewigen Schnee, – links, – die Länge des Tals vom Bodensee geschlossen, (d.h. die Perspektive, der See selbst ist zwey Stunden von hier) dessen Spiegel im Sonnenschein mich blendet, und der überhaupt mit seinen bewegten Wimpeln und freundlichen Uferstädtchen hinüberleuchtet, wie das Tageslicht in einen Grotteneingang."
(Annette von Droste-Hülshoff, 1835).